Entgegen oder vielleicht gerade wegen dramatischer Meldungen vom Rückgang der Vogelwelt in unserer Gegend, landeten so einige Vögel verschiedener Arten bei uns und bedurften unserer Pflege und Aufzucht. Angefangen von vielen Spatzen, über Rotschwänzchen und Buchfinken, einer Ringeltaube und einem Eichelhäher saßen einige Vogelbabys oder verletzte Jungvögel bei uns in der Küche, dem zentralen Ort des Hauses und piepsten, schrien und sperrten ihre Schnäbel auf. In allen Farben und Tönen signalisierten sie uns, dass sie Hunger hatten und unsere Unterstützung benötigten. Dies war zwar zeitaufwendig und bedurfte oftmals einer gewissen Organisation, die Vogelbabys zu hüten und vor sämtlichen Katzenbewohnern des Hauses abzuschirmen. In jedem Fall war der Einsatz die Mühe wert, weil er große Freude bereitete und wir viel über die Aufzucht sowie Auffälligkeiten und mögliche Krankheitsbilder der Jungtiere lernten. Es ist schon etwas Besonderes, wenn man morgens Vogelpiepsen im Haus hört. Tatsächlich gleicht kein Vogel dem anderen, selbst wenn er aus derselben Familie stammt. Jeder ist eine kleine Persönlichkeit mit seinen Vorlieben und Besonderheiten. Auch wenn es uns nicht gelang, alle gefiederten Kinder großzuziehen, so entwickelten sich doch die meisten zu selbstbewussten kleinen Wesen, die es am Ende nicht erwarten konnten, in die Freiheit zu kommen.
Nicht jeder Vogel, der scheinbar verlassen auf dem Boden sitzt, sollte sofort aufgehoben werden, insbesondere dann nicht, wenn er schon befiedert ist und möglicherweise noch von seinen Eltern gefüttert wird. Viele Jungvögel, so auch Amseln, hüpfen und rennen – selbst wenn sie äußerlich ausgewachsen scheinen – ihren Eltern laut schreiend hinterher. Sie werden dann weiterhin von ihren Eltern gestopft. Sobald jedoch der Mensch eingreift, besteht die Gefahr, dass sich die Vogeleltern abwenden und das Junge jämmerlich verhungert. Also, erst einmal abwarten, ob nicht doch eine aufgeregte Mama irgendwo versteckt sitzt und ihren Schützling beobachtet.
Hier nun eine kleine Auswahl der Vögel, die uns aufmerksame Spaziergänger, Kinder oder andere tierfreundliche Menschen zur Aufzucht brachten.
Ein Spatz kommt selten allein
Spatzen sehen bemitleidenswert aus, wenn sie so nackt und klein aus dem Ei schlüpfen. Ihr Kopf mit dem überdimensionalen Schnabel ist, wie bei den meisten Tierbabys, weit größer als der restliche Körper. Auffällig sind die gelben „Mundwinkel“, die darauf hinweisen, dass es Jungvögel sind. Die Augen sind geschlossen, die Haut pergamentartig, die staksigen Füßchen wissen nicht, was sie tun sollen. Aber sie können mit jedem Tag lauter schreien, pfeifen und ihrem Ernährer zu verstehen geben, dass sie furchtbaren Hunger haben. Nach und nach wachsen dann auch die Federn und das Häuflein Elend entwickelt sich zu einem gefiederten, frechen Kerlchen. Einer unserer Spatzen hatte ein verkrüppeltes Füßchen. Um das Sitzen zu erlernen bastelten wir ihm eine Spezialstange aus Brombeerholz. Spatzen sind ein bisschen wie wir Menschen, sie essen eigentlich fast alles. Neben Körner aller Arten auch gerne einmal ein Stück Erdbeere.
Nomen est omen – Rotschwänzchen machen ihrem Namen alle Ehre
Das kleine Federbällchen hatte schon ein paar schwarze, flauschige Federchen, als es bei uns ankam, aber atmete recht schwer. Es schien sich gut zu erholen, wuchs und nahm zu: umso trauriger waren wir, als es dann doch nach gut zwei Wochen Pflege starb. Kurz darauf hörten wir, dass gerade Rotschwänzchen dieses Jahr besonders von einer Infektion heimgesucht wurden. Rotschwänzen haben, wie ihr Name verrät, eine Rotfärbung ihrer Schwanzfedern. Sie nisten gerne in alten Ställen und ernähren sich meist von Insekten und kleinem Getier.
Ein tanzender Buchfink
Der Buchfink war zwar schon ausgefiedert, aber noch nicht voll flugfähig. Möglicherweise ist er bei ersten Flugübungen zu früh aus dem Nest gefallen. Er hätte noch der Hilfe seiner Eltern bedurft, die sich aber nirgends blicken ließen. Unser Buchfink hatte noch lustigen Federflaum auf seinem Kopf. Auffällig war sein durchdringendes Rufen, ein hoher schriller Ton. Gleichzeitig tänzelte er wie ein Kreisel um sich selbst; tatsächlich eine normale Verhaltensweise, um die Elternvögel auf sich aufmerksam zu machen. Übersäht war dieser arme Wicht mit vielen schwarzen kleinen Punkten, die sich bei näherer Betrachtung als zeckenartige Blutsauger entpuppten. Zwar versuchten wir unseren kleinen Freund von diesem Ungeziefer zu befreien, jedoch starb er, da er bereits zu geschwächt war.
Drei Grauschnäpper zu Gast
Ungewöhnlich hübsch gepunktet ist das Gefieder der jungen Grauschnäpper (auch bekannt als Fliegenschnäpper). Drei kleine aus dem Nest gefallene Gesellen, die sichtlich unter der Hitze des Sommers litten, fanden wir am Ufer eines Baches, das zerstörte heruntergefallene Nest daneben. Sie stellten dort eine leichte Beute für Katzen und andere Fleischfresser dar. Also nahmen wir sie mit und setzten sie in ein Nest aus Heu. Schon nach kurzer Zeit sperrten die Drei wieder ihre großen, innen leuchtend roten Schnäbel auf. Sie fraßen mit Vorliebe kleine Heuhüpfer und Insekten; ihre Leibspeise waren jedoch Stubenfliegen. Mit dem Füttern kamen wir alle kaum nach, aber am Ende konnten sie von der Vogelpflegestation – und Wildtierhilfe Hegau-Bodensee erfolgreich ausgewildert werden.
Der Eichelhäher mit den stahlblauen Augen
Ein gewisser Höhepunkt war die intensive Pflege eines jungen, bereits ausgewachsenen Eichelhähers. Die Röntgenaufnahme zeigte, dass er – wohl aufgrund eines Unfalls – eine schwere Rückenverletzung hatte und daher nicht mehr stehen konnte. Er lag nur auf dem Rücken oder der Seite und musste gefüttert werden. Hier stellte sich die schwere, aber berechtigte Frage, ob diesem Vogel wohl noch ein vogelgerechtes und damit adäquates Leben bevorstehen würde oder ob eine Euthanasie besser wäre. Die Entscheidung war auch deshalb schwer, da Vögel ihre Schmerzen für uns kaum zu erkennen geben, aber hochsensible und schmerzempfindliche Tiere sind. Entgegen aller Vernunft entschieden wir uns dafür, es doch mit dem Vogel zu probieren, nicht zuletzt deshalb, da dieses Häuflein Elend einen solch unglaublichen Lebenswillen ausstrahlte. Nach wochenlanger sehr intensiver Pflege und Fütterung erholte er sich tatsächlich, stand wieder auf seinen Beinen und kann sich selbst ernähren. Er verbringt den kommenden Winter in einer Voliere in der Vogelpflegestation und wir werden sehen, ob man ihn im nächsten Frühjahr auswildern kann.
Mauersegler – Könige der Lüfte
Anders war es jedoch bei einem ausgewachsenen Mauersegler, der mit gebrochenem Flügel und offener Fraktur keine Aussicht auf Heilung und Überlebenschance hatte. Denn ausgewachsene Mauersegler lassen sich nicht füttern. Sie fangen ihre Beute, kleinere Insekten, in der Luft während sie mit schrillem Ruf durch die Lüfte segeln.
Tatsächlich ist es immer eine schwere Entscheidung, die nur im Einzelfall getroffen werden kann. Wir jedenfalls haben gelernt, dass selbst Totgeglaubte länger leben als gedacht …
Fazit
Nicht alle Schützlinge haben überlebt, manche waren einfach schon zu geschwächt, da sie unterkühlt und zu lange ohne Nahrung waren oder eben sehr schwere Verletzungen hatten. Die meisten Vogelkinder in unserer Obhut haben es aber in diesem Jahr geschafft. Entscheidend ist das richtige Futter (an der Schnabelform erkennt man, ob es sich um einen Insekten- oder Körnerfresser handelt), genügend Wärme, Geduld und genaue Beobachtung. Wir bedanken uns für die Hilfe und Unterstützung bei Yvonne Bütehorn von Eschstruth und Ines Wickhüller von der Vogelpflegestation – und Wildtierhilfe Hegau-Bodensee.
Selbst wenn die Rettung einzelner Vögel vielleicht nur wie ein Tropfen auf den heißen Stein ist, so lohnt sich diese unbedingt und wir freuen uns schon auf das nächste Vogeljahr. Es hat Freude gemacht, einem Geschöpf der Wildnis auf die Beine zu helfen und es dann in die Freiheit zu entlassen.