Tierethik: Christliche Orientierungen in einem spannungsreichen Feld

Vortrag von Prof. Dr. Markus Vogt, Lehrstuhl für Christliche Sozialethik an der Ludwigs-Maximilian-Universität München


Professor Markus Vogt, Autor der 2021 erschienenen Monographie „Christliche Umweltethik – Grundlagen und zentrale Herausforderungen“ war zu Gast in der Reihe Mensch und Umwelt der Musella-Stiftung und der Katholischen Akademie. Aufgrund der Covid-19-Pandemie fand der Vortrag via Zoom im Online-Format statt und kann über Youtube angesehen werden.

Für das „spannungsreiche Feld“ der Tierethik aus christlicher Sichtweise stellte Vogt seiner Darstellung fünf Aspekte in einem kurzen Überblick voran.

  1. Das gespaltene Bewusstsein in der Kulturgeschichte des Mensch-Tier-Verhältnisses
  2. Die Bewegung der „Animal Liberation“
  3. Das Tier als Mitgeschöpf: Theologisch-ethische Grundlagen
  4. Kriterien artgerechter Haltung
  5. Erhalt von Wildtieren und Biodiversität

Was ist Tierethik?

Angesichts der Widersprüche im Mensch-Tierverhältnis besteht Bedarf an einer Rationalisierung des Diskurses. Tierethik behandelt die moralischen Fragen, die sich aus der Nutzung, Tötung und Verdrängung von Tieren für menschliche Zwecke ergeben. Das Mensch-Tier-Verhältnis wird in der ethisch-philosophischen Diskussion aus verschiedenen Sichtweisen betrachtet.

Peter Singer steht für die Meinung, dass es zwischen menschlichem und tierischem Bewusstsein keinen kategorischen Unterschied gibt. Leitmaßstab für beide ist, Leid zu vermeiden und positive Emotionen zu maximieren. Singers Monographie „Animal Liberation“ aus dem Jahr 1975 gab einen entschiedenen Impuls für die weltweite Tierrechtsbewegung. In eine ähnliche Richtung gehen die Überlegungen von Tom Regan, der Tiere als „Subjekte ihres Lebens“ ansieht. Die mangelnde Fähigkeit von Tieren, an ethischen Diskursen teilzunehmen, rechtfertigt keineswegs, ihnen jegliche Rechte vorzuenthalten. Daher ist Regan auch für eine Abschaffung jeglicher Nutzung von Tieren für menschliche Zwecke (Tom Regan, The Case for Animal Rights). Christine Korsgaard entwickelte in „The Constitution of Agency“ Kants „Kategorischen Imperativ“ weiter und kam zu der Überzeugung, dass dieser in gewisser Weise auch für Tiere gelte. Das bedeutet, sie nie nur als Mittel für externe Zwecke zu behandeln, sondern auch ihre Eigenrechte zu respektieren. Resümierend kann über die ethisch-philosophischen Fragen zum Tier-Mensch-Verhältnis gesagt werden, dass Verantwortung eine Leitkategorie der Tierethik sein sollte, im Unterschied zu einem zentral auf die Begriffe „Wert“, „Gerechtigkeit“ oder „Recht“ fokussierten Diskurs.

Theologische Perspektiven: Das Tier als Mitgeschöpf

Nach biblischem Zeugnis sind Tiere „Mitgeschöpfe“ des Menschen, also auch Mitbewohner der Lebensräume und Schicksalsgenossen des Menschen. Im Neuen Testament wird die ganze Schöpfung mitsamt den Tieren in die Erwartung einer endzeitlichen Vollendung eingeschlossen. Dennoch gibt es auch in der Bibel einige Zeugnisse von Ignoranz gegenüber dem Leid und Wert von Tieren.

In der christlichen Ethik gibt es wichtige Beispiele eines gelebten Tier-Ethos. An erster Stelle ist dabei Franz von Assisi zu nennen: „Alle Geschöpfe der Erde fühlen wie wir, alle Geschöpfe der Erde streben nach Glück wie wir, alle Geschöpfe der Erde lieben, leiden und sterben wie wir; also sind sie uns gleichgestellte Werke des allmächtigen Schöpfers“. Daneben gibt es eine Vielzahl von Heiligenlegenden und Brauchtum, in denen Tiere als Symbole von Emotionen, Tugenden, Ängsten, Naturkräften oder als Spiegel der Seele auftauchen. Seit einigen Jahren wird das Thema Tierschutz von einigen Theologen vermehrt erforscht und auch praktisch behandelt (vergleiche die Vorträge Hagencord, Ruster, Horstmann und Vogt auf dieser Seite).

Ethische Kriterien für praktischen Tierschutz

Zu den drängendsten Problemen im praktischen Tierschutz gehören die artgerechte Haltung und der Erhalt von Wildtieren und Biodiversität. Grundlage dafür bietet in Deutschland das Grundgesetz, in dessen Artikel 20a es heißt: „Der Staat schützt auch in Verantwortung für die künftigen Generationen die natürlichen Lebensgrundlagen und die Tiere im Rahmen der verfassungsmäßigen Ordnung durch die Gesetzgebung und nach Maßgabe von Gesetz und Recht durch die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung“. In Paragraph 1 des zuständigen Tierschutzgesetzes heißt es: „Zweck dieses Gesetzes ist es, aus der Verantwortung des Menschen für das Tier als Mitgeschöpf dessen Leben und Wohlbefinden zu schützen. Niemand darf einem Tier ohne vernünftigen Grund Schmerzen, Leiden oder Schäden zuführen“. Vieldiskutiert wird in der Tierethik der Begriff des „Vernünftigen Grundes“, insbesondere in der Thematik der Tierversuche und der Tierhaltung. Gerade hier steht eine gesamte Branche unter starkem ökonomischen Verwertungsdruck, der sich in problematischen Methoden der Intensivtiernutzung und der Erzielung maximaler Leistungen in immer kürzerer Zeit äußert (Evangelische Kirche in Deutschland/Deutsche Bischofskonferenz 2003, Nr. 15). Es ist dringend geboten, die hehren Begriffe in den Gesetzestexten mit verbindlichem Inhalt zu füllen. Daran mangelt es in der Praxis ganz erheblich. Man kann dies als Defizit der Konkretisierung z.B. für Kriterien eines „Tierwohls“, das diesen Namen verdient, und als Vollzugsdefizit kennzeichnen.

Der Artenschutz beschäftigt sich mit der Stabilität der Ökosysteme, aber auch mit dem Eigenwert des Lebens. Dabei betrifft die Erhaltung der Biodiversität auch die Lebensgrundlage des Menschen – ihr kann also sowohl ein Eigenwert wie ein instrumenteller Wert zugesprochen werden. Der Biodiversitätsschutz wird in den von pathozentrischen (also auf die Leidvermeidung von Individuen bezogenen) Ansätzen in der bisherigen Tierschutzethik systematisch vernachlässigt. Hier kann die Perspektive christlicher Tierethik, die das Zusammenleben (Kohabitation) im „Haus der Schöpfung“ insgesamt thematisiert und damit breiter ansetzt, eine wichtige Ergänzung darstellen.

 Dr. Stephan Seiler / Prof. Dr. Markus Vogt

Aufzeichnung des Vortrages in der Katholischen Akademie

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