Was der Abschied von einem „despotischen Anthropozentrismus“ (Papst Franziskus) konkret bedeutet
Vortrag von Prof. Dr. Kurt Remele (Graz)
Der Vortrag von Professor Dr. Remele aus Graz knüpfte thematisch an jenen von Prof. em. Dr. Günter Hager im Januar dieses Jahres über die Enzyklika des Papstes Franziskus „Laudato si’“ an (zum Bericht). Remele ging es dabei um die Notwendigkeit eines besseren Umgangs mit den Tieren als Mitgeschöpfe in der heutigen Zeit – diesmal aus Sicht eines Theologen und Ethikers. Anlass, die Beziehung zwischen Mensch und insbesondere den so genannten Nutztieren neu zu überdenken, ist für ihn das große Leiden der Tiere als Geschöpfe Gottes.
Verwandtschaftliche Beziehungen zwischen Menschen und Tieren – nicht nur auf genetischer Basis
Mensch und Tier erleiden gleichermaßen den Tod. Beide sind sterblich. Da die ganze Schöpfung aber auf Erlösung ausgerichtet ist, sind auch die Tiere nicht ausgenommen.
Für beide gilt die Zusage der Erlösung durch Jesus. Denn Gott ist, hält man sich an die wörtliche Übersetzung, nicht nur Mensch, sondern zu allererst „Fleisch geworden“ (incarnatus est).
Spätestens seit Darwin wissen wir, dass Mensch und Tier eines Ursprungs sind. Unsere nächsten Verwandten sind die Primaten, mit denen wir sehr viel mehr gemeinsam haben, mehr als die Primaten wiederum mit Insekten und Schalentieren.
Gleichwohl sprechen wir nur immer von den Tieren im Allgemeinen im Gegensatz zum Menschen. Wir wissen, dass zahlreiche Tiere zweifellos Schmerzen, Leid, aber auch Freude empfinden.. Die Grenzen zwischen Menschen und Tieren auch in der Frage des Verstandes sind immer schwerer zu ziehen.
Tiervergessenheit des Christentums
Die christliche Theologie zeichnet sich, so Remele, bis auf wenige Ausnahmen, durch eine große „Tiervergessenheit“ aus. Dies begründet sich insbesondere durch das fatale Missverständnis von Herrschaftsanspruch (dominium terrae) des Menschen über die Tiere und die ganze Erde (Gen. 1,28). Ein guter Herrscher jedoch zeichnet sich nicht durch Gewalt und Dominanzstreben, sondern durch Verantwortungs- und Mitgefühl aus. Die Tiere nur als Zweck und Mittel für das menschliche Dasein zu betrachten, ist demnach nicht im Sinne der Bibel. Gleichwohl gibt es große Kirchenväter wie Augustinus und Thomas von Aquin, die den Tieren keinen moralischen Status und keinerlei eigene Rechte zugestanden haben. Ihnen zufolge ist Tierquälerei nur deshalb verwerflich, weil die Gewalt, die gegen Tiere ausgeübt wird, zur Gewohnheit werden kann und sich dann irgendwann auch gegen Menschen richten könnte.
Doch gab es auch in der Geschichte der Kirche immer einige Ausnahmen, wie beispielsweise der von Papst Benedikt XVI. selig gesprochene Kardinal John Henry Newman, der sich bereits 1842 gegen die grausamen Tiermisshandlungen und Tierversuche einsetzte.
Neben den Tierversuchen, dem Töten der Tiere für die Kleiderherstellung sowie dem Töten als Freizeitgestaltung (Bsp. Jagd) stellt sich das massenhafte Schlachten von Tieren als großes ethisches Problem dar. Mit welchem Recht leben wir auf Kosten dieser, unserer Artgenossen?
Eine neue Ethik
Mit der Enzyklika „Laudato si’“ ist nun offensichtlich eine neue Zeit angebrochen, denn endlich beschäftigt sich ein kirchliches Oberhaupt mit diesen gravierenden Problemen. Ihm geht es insbesondere um den Eigenwert der Geschöpfe. Die Tiere sind also primär nicht für den Menschen da, sondern haben ihr eigenes Recht auf artgerechtes Leben. Auch wenn Franziskus keine endgültigen Antworten in Hinblick
auf die tatsächlichen Konsequenzen dieser neuen Ethik gibt, räumt er doch Möglichkeiten und Spielräume ein, den Tieren endlich einen angemessenen Platz in der christlichen Theologie zu geben.
Einen wichtigen Beitrag zur konkreten Umsetzung spricht auch Professor Remele an: Wir können uns auch ohne Fleisch sehr gut ernähren. Denn unser Essverhalten ist steuerbar, und wir können bewusste Entscheidungen treffen. Natürlich wäre der Verzicht auf das Essen von Tieren nur ein Schritt, aber dafür ein wesentlicher auf dem Weg hin zu einer neuen Tierethik.
Dr. Stephan Seiler