SOS Kinderdörfer weltweit. Prinzipien und Strategien für Kinder in Not

Vortrag von Barbara Françoise Gruner (München)


Als weitere Gemeinschaftsveranstaltung von Katholischer Akademie Freiburg und Musella-Stiftung fand am 16. April 2018 ein Vortrag von Barbara Françoise Gruner, Leitung Private Partner und Förderer bei SOS-Kinderdörfer weltweit sowie Vorstandsmitglied der Hermann Gmeiner-Stiftung statt. Sie ist Expertin für internationale Entwicklungszusammenarbeit und hat lange Jahre auch im Ausland für NGOs gearbeitet.

Ihr informativer Vortrag eröffnete neue Erkenntnisse und spannende Einblicke in die Arbeit für und mit Kindern sowie in das Konzept der SOS-Kinderdörfer.

Geschichte und Entstehung

Hermann Gmeiner hat im Jahr 1949 SOS-Kinderdorf gegründet. Er erlebte die vielen Kinder, die aufgrund des Zweiten Weltkrieges zu Waisen geworden waren und ihr Leben oftmals auf der Straße ohne Familie fristen mussten. Zwar gab es bereits Waisenhäuser, doch waren diese entweder hoffnungslos überfüllt und boten den verlassenen Kindern auch keine familiäre Atmosphäre. Seine Idee, Geschwisterkinder zusammen aufzunehmen, sie von sogenannten SOS-Müttern betreuen zu lassen und ihnen damit eine familiäre Umgebung zu ermöglichen, war damals revolutionär.

Seine Bemühungen wurden zu Beginn vielfach kritisch betrachtet und es war nicht einfach, Unterstützung für dieses Projekt zu bekommen. Schließlich entstand das erste SOS-Kinderdorf in einem kleinen Tiroler-Dorf, weit weg von einer größeren Stadt, aber dafür in einer für Kinder idyllischen ländlichen Umgebung. Entgegen aller Kritik und Vorurteile wurde Gmeiners Idee zum Exportschlager für die ganze Welt. Zu Beginn kümmerten sich die „Mütter“ um bis zu zehn Kinder, heute sind es meist nicht mehr als sechs Kinder, da auch die Ansprüche an die Erziehung gewachsen sind und die Anforderungen an eine SOS-Kinderdorfmutter erheblich gestiegen sind. Weltweit gibt es heute insgesamt 575 SOS-Kinderdörfer rund um den Globus.

Das Erfolgsrezept von SOS-Kinderdorf

Wie kam es dazu, dass Gmeiners Rezept solchen Erfolg hatte? Die Essenz ist einfach: Damit Kinder zu verantwortungsvollen Erwachsenen werden und lernen, sich im Leben zurechtzufinden, brauchen sie Geborgenheit und Sicherheit. Am besten bieten sich hierfür die Strukturen einer intakten Familie mit festen Bezugspersonen an. Die SOS-Kinderdörfer vermitteln Kindern, die keine Familie mehr haben oder aus diversen Gründen nicht mehr in der Familie leben können genau das: Familien-Ersatz mit einer SOS-Mutter und Geschwistern. Dabei war und ist es bis heute wichtig, die noch vorhandenen familiären Bindungen und kulturellen Wurzeln nicht abzuschneiden. Vorgabe war und ist es daher bis heute, dass ausschließlich lokales Personal zu SOS-Müttern ausgebildet wird. Somit war auch ein Weg zur Umsetzung der Idee und Akzeptanz vor Ort gefunden. Die Waisenkinder hatten es später einfacher, in ihrer Gesellschaft Fuß zu fassen und obendrein wurden neue Arbeitsplätze geschaffen.

Wandel der Gesellschaft – Entwicklung von neuen Konzepten

Erfolgreich sein heißt entwicklungsfähig bleiben. So musste und muss sich das Konzept SOS-Kinderdorf an den Anforderungen neuer gesellschaftlicher Entwicklungen messen und hinterfragen lassen. Neue Aufgaben sind neben der Erziehung in der Familie hinzugekommen, wie etwa die Ausbildung und Vorbereitung für das berufliche Leben. Auch hier sollen Kinder, die nicht das Glück haben, in einer wohlhabenden Familie groß zu werden, Chancen geboten werden. Frau Gruner berichtete in diesem Zusammenhang von Pilotprojekten, jungen Menschen beispielsweise in Afrika Sprachkurse über Computer und Internet zu vermitteln. Ziel ist, den jungen Menschen Arbeitsplätze im eigenen Land zu verschaffen, so dass sie einen Beitrag zur finanziellen Stabilität ihrer Familien leisten können. Auch leben die Kinder und Jugendlichen oftmals nicht mehr abgeschirmt in einem Dorf fern der urbanen Gesellschaft. SOS-Mütter leben heute mitunter mit eigenen Kindern und Partnern in städtischen Wohnungen gleich nebenan. Das erleichtert die Integration der Kinder und Jugendlichen vor Ort mit anderen Kindern und in ihrer Freizeitgestaltung. Die SOS-Kinderdörfer weltweit helfen heute in vielen Ländern finanziell schwachen oder sozial zerrütteten Eltern und Familien mit Rat und Tat. Erforderlich ist hierfür eine enge Zusammenarbeit mit den staatlichen Einrichtungen, wie etwa den Jugendämtern vor Ort.

Enttraumatisierung als Start in ein neues Leben

Zu den jüngsten Entwicklungen gehört die von den SOS-Kidnerdörfern weltweit ins Leben gerufene Ausbildungsstätte für Sozialarbeiter und Psychologen im Nordirak. Traumatisierten Kindern und Jugendlichen soll geholfen werden, mit ihren meist schrecklichen Erlebnissen fertig zu werden. Erst wenn sie beispielsweise nicht mehr von „Flashbacks“ überwältig werden, können sie sich in der Schule konzentrieren und werden für Lehrangebote aufnahmefähig.

Messbarer Erfolg von SOS-Kinderdorf

Die SOS-Kinderdörfer sind auf allen Kontinenten für Kinder in Not aktiv: Derzeit gibt es 575 Kinderdörfer – 29 sind im Bau. Neben den Kinderdörfern helfen wir weltweit mit 2.134 weiteren Projekten, wie Schulen, Familienhilfe, Krankenstationen und Nothilfeprogramme. Unsere weltweite Projektarbeit im Überblick:

  • 575 SOS-Kinderdörfer: 58.475 Mädchen und Jungen wachsen dort in einem liebevollen Zuhause auf.
  • 739 Jugendeinrichtungen: 23.758 Jugendliche wohnen dort, während sie eine Ausbildung machen oder eine weiterführende Schule besuchen.
  • 241 Kindergärten betreuen 25.073 Mädchen und Jungen.
  • 185 Hermann-Gmeiner-Schulen: 103.519 Kinder besuchen dort den Unterricht.
  • 103 Berufsbildungszentren bilden 29.602 Jugendliche und Erwachsene, darunter auch unsere einheimischen SOS-Mitarbeiter, aus.
  • 756 Sozialzentren und Projekte der SOS-Familienhilfe erreichen insgesamt  626.103 Kinder und ihre Familienangehörigen.
  • 79 Medizinische Zentren haben im vergangenen Jahr 892.820 Behandlungen durchgeführt und leisteten so oftmals lebensrettende Hilfe für Kinder, schwangere Frauen und Eltern.
  • 31 Nothilfe-Programme stehen aktuell Kindern und ihren Familien in Katastrophen- und Krisengebieten bei: 332.323 Hilfsleistungen umfassen z. B. Hilfsgüter für Familien, Kinderbetreuung in Notquartieren oder Schutz und Aufnahme unbegleiteter Kinder.

Zurecht ist SOS Kinderdorf stolz auf den spürbar sozialen Zusammenhalt der Familien. Nicht selten stehen sog. Alumni ein ganzes Leben in engem Kontakt zu ihren damaligen „SOS-Müttern“. Ein soziales Kapital, von dem auch unsere heutige Gesellschaft profitieren kann.

Dr. Stephan Seiler

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